DER TAGESSPIEGEL 12.03.2021 von Ingo Bach - vielen Dank für die freundliche Überlassung von Gerhard Moses Heß
Es ist ein alltägliches Bild in Zeiten der Coronapandemie: Die Angst vor einer Infektion lässt viele Menschen auf den Bürgersteigen einen großen Bogen umeinander machen. Man drückt sich an Häuserwände oder zwischen Straßenbäume, um zueinander auf maximalen Abstand zu gehen. Und wenn man Pech hat, wird man im Vorbeigehen auch noch angegrummelt, doch gefälligst auf seiner Seite des Weges zu bleiben.
Platzprobleme gibt es auch in den Stadtparks, in die viele Menschen mangels Fitnessstudio ihre sportlichen Aktivitäten verlagert haben. Spaziergänger beäugen misstrauisch Jogger, die laut schnaufend auf sie zukommen oder von hinten so dicht vorbeilaufen, dass man ihren Atem im Nacken zu spüren vermeint. Denn mittlerweile hat wohl jeder verinnerlicht, dass die Hauptgefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken, von den Aerosolpartikeln im Atem ausgeht. Das sind winzigste Tröpfchen, die Viren enthalten können.
Doch wie groß sind die Ansteckungsrisiken in Parks, auf Bürgersteigen und im Wald wirklich?
Wir haben den Aerosolforscher Christof Asbach gefragt. Christof Asbach ist Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung. Er leitet zudem den Bereich Luftreinhaltung und Filtration am Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. in Duisburg. © GAeF
Herr Asbach, ist es aus der Sicht eines Aerosolforschers nötig, sich unter freiem Himmel so weitreichend wie möglich aus dem Wege zu gehen?
Nein, das ist sicher nicht notwendig. Wir wissen inzwischen, dass unter freiem Himmel das Ansteckungsrisiko in fast allen Situationen verschwindend gering ist. Für eine Studie in China wurden rund 7000 Ansteckungen zurückverfolgt. Und nur eine einzige davon hatte tatsächlich im Freien stattgefunden.
Das hat damit zu tun, dass für eine Ansteckung eine gewisse Anzahl von Viren nötig ist, die man einatmet. Die genaue Zahl ist nicht bekannt und es gibt da auch individuelle Unterschiede. Aber wir reden hier von einigen hundert bis einigen tausend Viren. Wenn man sich nur kurz begegnet etwa auf dem Bürgersteig oder beim Spazierengehen im Park oder Wald, dann ist die Kontaktzeit zu kurz, um so viele Viren einatmen zu können.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund einige der Eindämmungsmaßnahmen, die einige Kommunen in den vergangenen Wochen ergriffen haben, vor allem bei schönem Wetter? Also zum Beispiel die vieldiskutierten Verweilverbote auf Promenaden?
Pauschal ablehnen würde ich so etwas nicht. Denn es gibt durchaus auch im Außenbereich die Möglichkeit einer Übertragung der Viren.
Das gilt vor allem für Situationen, in denen man sich gegenübersteht oder -sitzt und sich dabei unterhält. Denn beim Sprechen entstehen viele Aerosolpartikel, die Viren enthalten können. Und das Gegenüber kann dadurch in einer Aerosolwolke stehen und damit die möglicherweise vorhandenen Viren in für eine Infektion ausreichend hoher Zahl einatmen.
Das gilt vor allem, wenn die Kontaktzeit eine Weile andauert, also eine Viertel- oder halbe Stunde. Solche kritischen Situationen muss man vermeiden, und da können Verweilverbote an den Stellen, an denen sich viele Menschen begegnen, durchaus hilfreich sein.
Also sollten die Behörden den Aufenthalt unter freiem Himmel doch einschränken?
Ich will es mal so sagen: Ein generelles Aufenthaltsverbot in bestimmten Bereichen oder eine pauschale Maskenpflicht im Freien ist aus aerosolwissenschaftlicher Sicht nicht notwendig. Das gilt vor allem dann, wenn die Menschen erkennen können, wann sie in die beschriebenen kritischen Situationen geraten und diese also vermeiden können. Das ist aber sicher schwierig zu vermitteln. Deshalb kann es durchaus sinnvoll sein, zum Beispiel Verweilverbote oder
eine Maskenpflicht im Freien auszusprechen, wenn man damit das Ziel verfolgt, die Bevölkerung für die Pandemiesituation, in der wir uns ja nach wie vor befinden, zu sensibilisieren. Und wenn man sich längere Zeit unterhalten möchte, sind die
Masken und Abstand tatsächlich auch im Freien der beste Schutz.
Wie schätzen Sie die Ansteckungsgefahr in Parks ein, wenn dort viele Grüppchen von Menschen verteilt auf einer Wiese sitzen?
Wie sich Aerosolpartikel in der Luft verhalten, das hängt von ganz vielen Faktoren ab: Windrichtung und -geschwindigkeit zum Beispiel oder Lufttemperatur. Aber wenn die Grüppchen die immer wieder genannten 1,50 Meter Mindestabstand zu anderen einhalten, dann ist das Ansteckungsrisiko verschwindend gering.
Welche Regeln bestimmen, wie sich die Aerosole im Freien verhalten?
Partikel, die wir beim Husten oder Niesen verteilen, die sind mit einigen hundert Mikrometern Durchmesser sehr groß und sinken relativ schnell zu Boden. Das geschieht in einer Parabel, wie es auch bei einem Ball passiert, den man wirft. Beim Ausatmen oder Sprechen entstehen aber viele kleinere flüssige Partikel, also Tröpfchen, die vielfach unter einem Mikrometer groß sind. Die sind so leicht, dass sie über Stunden in der Luft hängen. Und sie sind trotzdem immer noch groß genug, dass damit Viren transportiert werden können. Die Ausbreitung dieser schwebenden Teilchen wird durch Luftströmungen bestimmt.
So fliegen sie bei normalen und besonders bei kalten Außentemperaturen relativ schnell in die Höhe, weil die ausgeatmete warme Luft nach oben steigt. Aber da sich so etwas nur schwer feststellen lässt, sollte man sich an die 1,50 Meter Mindestabstand halten, egal, wie warm oder kalt es ist.
Wie lange muss man der Aerosolwolke eines infizierten Menschen ausgesetzt sein, um selbst angesteckt zu werden?
Das ist schwierig pauschal zu beantworten. Denn mindestens ebenso entscheidend wie Zeitdauer, in der man der Aerosolwolke einer infizierten Person ausgesetzt ist, ist die Konzentration der ausgeatmeten Viren, die individuell sehr stark variieren kann. Daher kommt auch der Begriff der Superspreader. Denn stößt ein Mensch eine hohe Anzahl von Viren aus, steckt er leichter und schneller andere an.
Die immer wieder genannten 15 Minuten, die nötig seien für eine Übertragung, sind aber zumindest draußen ein ganz guter Richtwert. Für die Mutanten des Virus, wie
die aus Großbritannien bekannte Variante B.1.1.7, ist diese Zeit aber offenbar kürzer, denn sie gelten sie als ansteckender. Aber selbst wenn sie dreimal ansteckender wären, reden wir immer noch über fünf Minuten, während derer man in der Aerosolwolke stehen muss.
Wie lange halten sich Aerosolpartikel in der Luft?
Ziemlich lange, über etliche Stunden bis hin zu Tagen.
Das ist vor allem in Innenräumen ein wichtiges Problem, weil sich die Aerosolpartikel mit immer mehr Atemzügen in der Raumluft anreichern, wenn kein Luftaustausch stattfindet. Man muss dazu aber auch wissen, dass die möglicherweise in den Partikeln enthaltenen Viren bereits nach kürzerer Zeit – etwa ein bis zwei Stunden – inaktiviert sind. Doch unter freiem Himmel ist das alles kein großes Risiko. Denn die Aerosole werden durch die strömende Luft so schnell verdünnt, dass keine große Gefahr besteht, auch wenn diese lange in der Luft schweben und noch aktive Viren enthalten.
Nun muss man beim Spaziergang im Park die Wege oft auch mit Menschen teilen, die Sport treiben. Das gilt noch mehr in der Pandemiezeit der geschlossenen Fitnessstudios. Vielen ist es unangenehm, wenn laut schnaufende Jogger dicht an ihnen vorbeilaufen, weil sie eine Ansteckung mit dem Coronavirus fürchten. Besteht Grund, dann Angst zu haben?
Wenn man Sport treibt, dann atmet man stärker, stößt mehr Partikel aus als im Ruhezustand und damit im Falle einer Infektion auch mehr Viren. Doch es mag überraschen: Im Vergleich zu einem tieferen oder auch schnelleren Atmen entstehen beim Sprechen deutlich mehr Aerosolpartikel.
Deshalb lauern beim Unterhalten mit einem dicht vor einem stehenden Menschen definitiv die größeren Ansteckungsrisiken. Zudem ist der Kontakt mit einem vorbeikommenden Jogger oder Radfahrer zu kurz für eine Ansteckung. Also: Auch wenn es manche Spaziergänger als belästigend empfinden, wenn einem Jogger zu dicht auf die Pelle rücken, ist das Infektionsrisiko gering.
Wie groß ist die Gefahr, wenn man längere Zeit als Radfahrer hinter einem anderen, möglicherweise infizierten Radler hinterherfährt oder als Fußgänger hinter anderen Menschen laufen muss, was auf dem Bürgersteig in belebten Straßen nicht gerade selten der Fall ist.
Wenn man über längere Zeit und sehr dicht hinter jemandem herradelt oder läuft, dann kann das in Einzelfällen durchaus ein Risiko sein. Das hängt aber wieder sehr stark von der Luftströmung, die einen umgibt, ab. Seitlicher Wind und die Thermik werden die Aerosole schnell verteilen.
Und selbst bei Wind von vorne wird die Aerosolwolke nur sehr dicht hinter der Person eine ausreichend hohe Konzentration haben, um für andere gefährlich zu sein. Man müsste also jemandem sehr dicht und lange folgen, was wohl für die meisten eher unangenehm ist und was sie deshalb schon instinktiv ganz vermeiden.
Was sagen Sie denen, die sich aus Angst vor dem Virus in ihrer Wohnung verkriechen?
Wir Aerosolforscher raten immer: Gehen Sie nach draußen, genießen Sie die frische Luft und das schöne Wetter, denn das Ansteckungsrisiko unter freiem Himmel ist in den meisten Fällen verschwindend gering. Die Gesundheitsgefahren in Innenräumen sind deutlich größer als draußen, und das nicht nur durch wegen der Coronaviren. Frischluft und Bewegung braucht jeder von uns.