„Können Sie nicht Abstand halten?!“ raunzt ein Mann einen Alten an, der hinter ihm in der Kassenschlange steht. Der entschuldigt sich wortreich, hört nicht auf zu reden, hat offensichtlich großen Gesprächsbedarf – aber der Mann fährt ihm über den Mund: „Lassen Sie mich in Ruhe!“
Vor Woolworth fährt mich eine energische Dicke an: „Hab ick Speck in der Tasche, oder wat?“ und rauscht empört an mir vorbei. Ich bin sehbehindert und war ihr versehentlich wohl zu nahe gekommen.
Im Vorraum meiner Bank herrscht Maskenpflicht. Die Bankangestellten kommen hinter ihrem Schalter hervorgeschossen, wenn jemand sich nicht daran hält. Ich muss in den Geldautomaten hineinkriechen, um ihn richtig bedienen zu können, dabei ist mir die Maske sehr hinderlich – hinter mir aber drängelt ungeduldig der nächste Kunde. Es wird strikt darauf geachtet, dass jeder die Regeln einhält, aber niemand achtet darauf, anderen zu helfen.
Wir machen einen großen Bogen um einander, als sei jeder, der uns auf der Straße begegnet, ein Infektionsrisiko.
Je länger die Pandemie dauert, desto mehr merke ich, wie sehr wir uns alle aus dem Weg gehen. Wir machen einen großen Bogen um einander, als sei jeder, der uns auf der Straße begegnet, ein Infektionsrisiko. Bloß niemandem zu nahe kommen! Und überall hängen ja auch große Plakate mit der Aufforderung: Abstand halten!
Als ich an einer Ampel warte, ruft mir eine Frau im Vorübergehen zu: „Es ist grün!“ Nett von ihr, denke ich, aber dann denke ich auch: Warum geht sie so schnell vorbei? Früher wurde ich oft gefragt, ob ich Begleitung oder Hilfe brauche. Bin ich aussätzig geworden? Doch dann fällt mir Corona ein.
Sachliche Aufklärung statt Angstmache: Ansteckung entsteht nicht durch Anrempeln oder beim Sitzen auf der Bank
Seit Jahr und Tag werden wir ermahnt, dass wir stets Abstand halten sollen – als bedeute jede Nähe, jede Berührung eine Infektionsgefahr. Das ist Angstmache statt sachlicher Aufklärung: Man kann sich nur anstecken, wenn man annähernd eine Viertelstunde einander gegenübersteht und
- nicht, wenn man sich versehentlich anrempelt,
- nicht, wenn man nebeneinander hergeht,
- nicht, wenn man für einige Augenblicke in einer Warteschlange steht usw.
Ich gehe gern flanieren. Ich brauche das: unter Leuten sein. Aber seit Corona fühle ich mich sehr einsam auf unseren Straßen. Man rennt aneinander vorbei, man beachtet die anderen nicht, man nimmt keine Rücksicht mehr aufeinander.
Infektionsschutz soll die Menschen schützen, nicht sie piesacken durch kleinliche, ausgeklügelte Maßregeln.
Die Bahnhofstraße soll zum „Flanier-Revier“ werden, hat sich ein Bürgerverein zum Ziel gesetzt. Ich bin alt, und mir tun vom Flanieren schnell die Füße und der Rücken weh. Aber wohin soll ich mich setzen? Jemand hat veranlasst, dass alle Bänke und Stühle entfernt werden mussten. Glaubt denn wirklich jemand, dass man sich ansteckt, wenn man nebeneinander auf einer Bank sitzt und sich ausruht? Oder wenn man an einem Stehtisch seine Currywurst isst? Hat das Ordnungsamt keine wichtigeren Infektionsherde zu bekämpfen? Wer hat die Parole ausgegeben, dass Corona erfolgreich besiegt werden kann, wenn man den Alten und Kranken jede Sitzgelegenheit auf der Einkaufsstraße wegnimmt? Soll die Straße unwirtlich sein, damit sich die Menschen ins gemütliche Zuhause flüchten – wo sie sich am ehesten anstecken?
Nicht genug damit: Den Restaurants und Geschäften, die sich mit Außer-Haus-Verkauf oder Click & Meet über Wasser halten, ist es neuerdings ausdrücklich verboten, ihre Kunden aufs Klo zu lassen, wenn’s pressiert – wegen Infektionsgefahr. Welcher Bürokrat hat sich das ausgedacht?
Infektionsschutz soll die Menschen schützen, nicht sie piesacken durch kleinliche, ausgeklügelte Maßregeln. Und er soll den Menschen nicht Angst machen vor ihren Nächsten, sie nicht zum Rückzug auf die eigenen vier Wände drängen, sondern zu gegenseitiger Rücksicht, zu Zusammenhalt und Solidarität. Denn nur so können wir die Pandemie überleben.
Nächster Stadtrand-Waldabenteuer für Eltern und Kinder: Die Steinjungen - ein Indianer-Märchen am 16. Mai 2021
Am Sonntag, den 16. Mai 2021, treffen wir uns um 16 Uhr am Waldspielplatz an der Lortzingstraße in Lichtenrade. Unterwegs üben wir uns in Achtsamkeit und Anpirschen und gelangen auf verschlungenen Pfaden zum Fluss, wo Gerhard das Märchen von den drei Steinjungen erzählt.
Wegen Corona nur mit Voranmeldung: 0163 34 17 053
Raus aus dem Haus! Stubenluft ist ungesund, wir brauchen wegen Corona viel Bewegung an frischer Luft!
Ihr Gerhard Moses Heß
E-Mail:
Gerhard-Moses-Hess@web.de
„Es ist seit Rahel uns erlaubt, Gedanken zu haben, die sich mit den Gegenständen des allgemeinen Menschenwohls beschäftigen [...] Kein Mann bestreitet uns mehr das Recht uns zu der Classe der denkenden Wesen zu rechnen, selbst die nicht, die Rahel wie eine Sphinx unverstanden anstarren.“ (Ottilie von Goethe 1839)
Der Friedhofs-Spaziergang findet statt am:
Samstag, den 22. Mai 2021, 15.00 Uhr: Friedhöfe am Halleschen Tor
Eingang Mehringdamm, gegenüber Finanzamt, U-Bf Mehringdamm
Bitte Masken mitbringen und Abstandsregeln beachten!
Kostenbeitrag von ca. 8 € willkommen
Voranmeldung erforderlich: Tel. 0163 34 17 053
Gerhard-Moses-Hess@web.de